EMERENZ MEIER

Biografie

Emerenz Meier
Schiefweg/Bayerischer Wald 1874 – 1928 Chicago/USA


Emerenz Meier wird am 3. Oktober 1874 in Schiefweg bei Waldkirchen im Bayerischen Wald geboren. Die Eltern sind Wirtsleute und Bauern, ohne rechtes Verständnis für den klaren Geist und die Interessen des Kindes. Wirtshausgesellschaft, stille Waldeinsamkeit, Sagen und Geschichten, bescheidene Lebensverhältnisse, Arbeit und die Großfamilie mit sieben Geschwistern prägen Emerenz. Goethe, Heine, Dante und Homer liest sie im Alter von zehn Jahren, verfasst bald selbst Gedichte und kleine Geschichten aus dem dörflichen Leben, das sie mit wachen Augen beobachtet.
1893 erscheint eine erste Fortsetzungsgeschichte in der Donau-Zeitung, und die frühe Erzählung Der Juhschroa ist bereits eine der eindrucksvollsten Arbeiten von Emerenz Meier. Ihre literarischen Themen kreisen stets um die Orte ihrer Heimat, um eigene Erlebnisse und sonderliche Charaktere. Es sind naturalistische Geschichten voller Lebendigkeit und Melancholie, Schmerz und sehnsüchtiger Hoffnung. Mit sozialkritischem Empfinden spürt sie Ungerechtigkeiten nach, rebelliert gegen Traditionen und Konventionen und sucht mit emanzipatorischer Kraft ihren Weg als erfolgreiche Schriftstellerin und gesellschaftlich akzeptierte Frau.
emerenz01Emerenz Meier wird über Bayern hinaus als schriftstellerisches Naturwunder gefeiert, und Literaten wie Hans Carossa, Heinrich Lautensack, Michael Georg Conrad oder Peter Rosegger stehen in Kontakt mit der Belesenen. 1897 wird in Königsberg ihr einziges Buch verlegt: Karl Weiß-Schrattental gibt in der Reihe „Dichterstimmen aus dem Volke“ eine Sammlung von Erzählungen unter dem Titel „Aus dem bayrischen Wald“ heraus. Bald folgen Veröffentlichungen im Simplizissimus, Das Bayerland, Die Jugend und die Fliegenden Blätter. Postkarten mit ihrem Portrait und Anhänger für Uhrketten sind im Umlauf, man schmückt sich mit der jungen schönen Dichterin, und Oberndorf, wohin die Familie 1891 gezogen war, wird zum Ziel der literarischen Sommerfrische.
Im Jahr 1900 begibt sie sich für wenige Monate zu einem Studienaufenthalt nach Würzburg, versucht sich in Buchführung, Englisch und Französisch. Mit Hilfe des Brauereibesitzers Hellmannsberger übernimmt sie 1902 ein Wirtshaus in Passau und will eine Künstlerkneipe etablieren. Das Experiment scheitert, Emerenz Meier verlässt Passau, geht nach München, kehrt wieder zurück und übernimmt den Hof ihres Vaters in Simplon bei Fürsteneck. Private Pläne und Hoffnungen zerschlagen sich, das Schreiben bringt wenig Verdienst, der dauerhafte Zugang zur literarischen Welt bleibt ihr versagt. Die Familie verarmt und entschließt sich – wie so viele aus dem Bayerischen Wald – zur Auswanderung nach Amerika. Der Vater reist mit den Schwestern voraus, Emerenz folgt mit der Mutter im März 1906.
Das Ziel ist Chicago, die „Windy City“ am Lake Michigan, die Stadt der Schlachthöfe, die Boomtown mit Wolkenkratzern und Gartenstadt-Anlagen. Dort findet sie eine große deutschstämmige Bevölkerung und ihren Mann Joseph Schmoeller, den Auswanderer aus Wotzmannsreuth bei Waldkirchen, mit dem sie 1908 ein Kind bekommt. Nach dem Tod des alkoholkranken Gatten heiratet sie 1910 den Schweden John Lindgren.
Die Hoffnungen auf eine Verbesserung der Lebensverhältnisse erfüllen sich nicht, Emerenz verliert sich im Alltäglichen eines Emigrantenschicksals. Die Quellen ihrer künstlerischen Arbeit bleiben im heimatlichen Bayerischen Wald zurück.
1919 nimmt sie den Kontakt zur alten Heimat wieder auf. In einem regen Briefwechsel mit ihrer Freundin Auguste Unertl spiegeln sich ihre Kritik an den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen in Europa und den USA – aber auch ihre Sehnsucht nach dem Vertrauten im Bayerischen Wald und die Illusion von Heimat. Sie stirbt im Alter von 53 Jahren am 28. Februar 1928 in Chicago.


Jörg Haller


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