Mittelbayerische Zeitung vom 27.12.2005
Suche nach einer Heimat und Menschen, die verstehen.
Volksmusik für Weintrinker: Monika Drasch veröffentlicht ein musikalisches Denkmal für die Dichterin Emerenz Meier
„Wie würde sie uns heute hier sehen?“ Die Frage von Burkhart Cording, Leiter des Grafenauer Morsak-Verlags, bleibt hier in Schiefweg, im Geburtshaus der niederbayerischen Dichterin Emerenz Meier, offen. Denn lang ist es her. Im März 1906, vor bald 100 Jahren, hat die Wirts- und Bauerstochter Meier ihre Heimstatt verlassen, ist der Familie in die USA gefolgt. Voran gegangen waren öffentliche Erfolge ebenso wie persönliche Niederlagen einer gesellschaftlichen Außenseiterin, einer wortgewaltigen Streiterin um Liebe, Freundschaft, Gleichberechtigung, um eine andere, eine Welt mit Kultur.
Immerhin: Monika Drasch, ehemals Sängerin und Geigerin des „Bairisch-Diatonischen Jodel-Wahnsinns“, zuletzt im Dienste des Hubert von Goisern, setzt der Dichterin an diesem Abend in Schiefweg „ein Denkmal“. Mit Siegfried Haglmo (Gesang, Diatonische Ziehharmonika), Andreas Stauber (Gesang, Gitarren) und Eva Sixt (Sprecherin) stellt sie die Doppel-CD „Out of Heimat“ vor, mit Liedern und Texten von und zugleich über Emerenz Meier.
„Emerenz Meier war in ihrer Zeit unglaublich“, sagt Drasch im Gespräch mit der MZ, „sie war kraftvoll, respektlos, frech, verschmitzt, hungrig nach Literatur.“ Und das vor mehr als 100 Jahren im Schatten des Fortschritts, in den Wäldern um Waldkirchen. Doch umso mehr Meier vor der Wende zum 20. Jahrhundert in Erzählungen, Gedichten, Briefen und Beschreibungen „sprachlich hinlangte“ (Drasch), desto stärker entglitt ihr die Heimat, entfremdete sie sich ihres Umfelds und verlor sich später in Würzburg, Passau, Chicago, als Gastwirtin, Fabrikarbeiterin, Hausfrau, edelmütig und schwermütig, zornig und traurig.
Monika Drasch fand über die Melancholie zu Emerenz Meier. Längst schätzt die 41-jährige ebenso das Augenzwinkernde, das Launige, das Spöttelnde in den Texten der 1928 verstorbenen Schriftstellerin. Jahrelang träumte sie davon, Meiers Werk zu vertonen. Endlich, nach 200 Stunden Studioarbeit, liegt das hervorragende Ergebnis vor. Ein Album, einmalig wie seine Quelle, keine Volksmusik-CD, keine Lyriklesung, kein Hörspiel für sich, sondern alles zusammen. Mit „Der Bua“ und „Der Juhschroa“ liest die Schauspielerin Christa Brendl zwei Erzählungen auf der einen CD, die musikalisch geringfügig ergänzt werden. Auf der anderen CD mischt es sich mehr. Weit mehr.
Eva Sixt, auch eine niederbayerische Wirts- und Bauerstochter, inzwischen 38 und als Schauspielerin und Sängerin des Regensburger „Trio Trikolore“ bekannt, liest hier in stetem Wechsel mit Musik aus Briefen von Emerenz Meier, deren teils bis heute reichende Aktualität nur verblüffen kann. Etwa, wenn sich Meier über Mitbürger mokiert, die Hunde wichtiger nehmen als den Obdachlosen nebenan, oder wenn sie eine US-Politik kritisiert, die ihren imperialen Kapitalismus gerne in einen globalen, angeblich hehren Freiheits- und Demokratiekreuzzug gewande. Dabei war das irakische Öl damals noch gar nicht gefunden.
Drasch greift dazu traditionelle Stücke auf und ergänzt sie mit Eigenkompositionen. Das klingt heiter und tänzerisch, balladesk und melancholisch, mal nach amerikanischem Blues, mal nach bayerischem Wirtshaus, immer melodiös, eingängig – und immer irgendwie besonders. Denn der Ton unterwirft sich dem Inhalt, der Historie, Drasch spürt den Lebensgefühlen ihrer Protagonistin wie ihrer selbst nach. Gitarrist Andreas Stauber spricht da von einer „Musik, die mit Seele gespielt wird“. Siegfried Haglmo, einst Mitgründer der Gruppe „Hundsbuam Miserablige“, findet ein profanes, aber auch schönes Wort: „Volksmusik für Weintrinker.“
Umgekehrt betrachtet: Wirklich zuhause ist Monika Draschs musikalisches Denkmal nirgends. Und damit spiegelt es das Dilemma der Dichterin aus Schiefweg wunderbar wieder. Oder wie Eva Sixt sagt: „Emerenz Meier war auf einer ewigen Suche, nach einem Ort, zu dem sie eine Herzensfreundschaft haben kann, nach Menschen, die sie verstehen.“ Sie hat weder das eine noch das andere bleibend gefunden. Sie hat vielmehr mit Hilfe ihres „fatalen Talents“ die „Fröste der Freiheit“ kennen gelernt, zitiert Sixt die Schriftstellerin Marieluise Fleißer, literarisch betrachtet eine „jüngere Schwester“ von Emerenz Meier.
Auf die Suche will Monika Drasch sich 2006 ebenfalls begeben, auf die Suche nach Publikum. Das geplante Bühnenprogramm soll im kommenden März, anlässlich „100 Jahre Auswanderung“, Premiere feiern, in München, auch so einer Stadt, in der Emerenz Meier eine Zeitlang „out of Heimat“ lebte. Wie würde Emerenz Meier das sehen?, könnte Verleger Cording dort erneut fragen. Nun, zumindest für diesen Abend in Schiefweg lässt sich behaupten, dass Emerenz Meier wohl kurzzeitig sprachlos gewesen wäre. Dann hätte sie vielleicht einfach das Richtige gesagt: „Danke“.
Mario Kunzendorf
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